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Care hat nichts mit Gender zu tun, sagt Antje Schrupp, Journalistin und Politologin

Care hat nichts mit Gender zu tun, sagt Antje Schrupp, Journalistin und Politologin

Wenn von Care-Ökonomie die Rede ist, wird meist im selben Atemzug auch darauf hingewiesen, dass Frauen mehr Care-Arbeit leisten, dass das vor allem ein „Gender-Thema“ ist, und so weiter. Antje Schrupp glaubt, dass die Verknüpfung der Themen „Care“ und „Gender“ schädlich ist, sie wird sie daher in Zukunft vermeiden. Antje Schrupp hat uns den nachfolgenden Text zum Veröffentlichen zur Verfügung gestellt.

 

Von Antje Schrupp

Das Thema „Care“ wandert langsam in die gesellschaftliche Mitte und wird dort aufgegriffen. Probleme wie Pflegemangel, Kitaausbau oder unbezahlte Familien- und Hausarbeit finden sich zunehmend auch in den großen Medien und stoßen auf breite gesellschaftliche Akzeptanz. Wenn Erzieherinnen für mehr Lohn streiken, haben sie viele Sympathien in der Bevölkerung, und die schwierigen Arbeitsbedingungen von Pflegekräften werden inzwischen allgemein als Problem erkannt.

Das ist einerseits schön, hat aber auch problematische Aspekte. Zum Beispiel wird oft aus dem großen Komplex „Care“ nur ein Detail herausgenommen, das Thema aber nicht in einen größeren Zusammenhang gestellt. Wie wir (nicht nur) im „ABC des guten Lebens“ betont haben, ist Care aber nicht ein weiteres Unterkapitel von Wirtschaft, sondern eher ist Wirtschaft ein Unterkapitel von Care. Care ins Zentrum zu stellen bedeutet mehr, als hier oder da an einem Schräubchen zu drehen.

Der systemverändernde Charakter geht verloren

Mein Unbehagen mit der Art und Weise, wie der Begriff „Care“ in der öffentlichen Debatte aufgegriffen wird, hat aber noch einen weiteren Grund: Ich sehe die Gefahr, dass der systemverändernde Charakter dessen, was ich und viele andere meinen, wenn wir von „Care-Ökonomie“ sprechen, gerade wegen der zunehmenden Akzeptanz einzelner Aspekte davon verloren gehen könnte. Dass all das Gerede über die Wichtigkeit von Care, aus dem konkret jedoch nur wenig folgt (denn im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist „Care“ eben nicht sinnvoll organisierbar), letzten Endes den Eindruck erweckt, das Thema wäre doch inzwischen erkannt, würde bearbeitet und das Finden einer Lösung sei somit nur noch eine Frage der Zeit. Es wiegt uns sozusagen in falscher Sicherheit.

Auch feministische Argumentationen können zu dieser Banalisierung und Verharmlosung der Care-Ökonomie beitragen – und zwar gerade durch die ständige Verknüpfung von „Care“ und „Gender“. Dass Care in aller Regel, gerade in feministischen Kontexten, explizit als ein „Genderthema“ angesprochen wird, ist meiner Ansicht nach einer der wesentlichen Mechanismen dabei. Wenn über Care gesprochen wird, werden ja fast immer im selben Atemzug seine geschlechtsspezifischen Aspekte betont: dass Frauen viel mehr unbezahlte und schlecht bezahlte Carearbeit leisten als Männer, dass sie dadurch auf dem Erwerbsarbeitsmarkt benachteiligt sind, dass sie verarmen und so weiter.

Care ist kein „Frauenthema“

Auf diese Weise entsteht der Eindruck, die Beschäftigung mit Care sei vor allem ein „Frauenthema“, ein Problem der Frauen, das angegangen werden muss, um Frauen zu helfen und sie nicht länger zu diskriminieren. Auf diese Weise tritt die Care-Thematik immer als ein partikulares Anliegen bestimmter Menschen ins Bewusstsein und bekommt den Charakter eines Teilproblems, das sich mit ein bisschen gutem Willen im Rahmen der gegebenen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lösen lässt. Man muss eben nur die Erzieherinnen besser bezahlen oder die Hausarbeit gerechter zwischen den Geschlechtern verteilen.

Die Care-Frage ist aber kein Unterkapitel der Gleichstellungs-Frage. Sie hat mit Emanzipation eigentlich gar nichts zu tun, jedenfalls nichts Wesentliches. Natürlich stimmt es, dass die Abwertung und Unsichtbarmachung von Care viel mit Geschlechterkonstruktionen zu tun hat. Und natürlich lässt sich das Thema nicht „geschlechtsneutral“ diskutieren, so als ob wir die entsprechenden Stereotype inzwischen postgendermäßig hinter uns gelassen hätten. Aber auch wenn alle Care-Tätigkeiten genau fifty-fifty unter Frauen und Männern aufgeteilt wären, wäre das zentrale Problem von Care nicht gelöst: dass sich diese Tätigkeiten nicht sinnvoll unter kapitalistischen Parametern organisieren lassen.

Wirtschaft ohne Care behindert das gute Leben

Deshalb finde ich diese Verknüpfung von Care und Gender je länger desto mehr gefährlich und strategisch falsch. Denn das Problem, worum es bei Care geht, ist NICHT irgendeine Benachteiligung von Frauen aufgrund einer historisch gewachsenen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Sondern die Thematisierung von „Care“ weist darauf hin, dass wir zurzeit unsere Gesellschaft rund um ein falsches Verständnis von Ökonomie aufgebaut haben, das wiederum auf einem völlig unrealistischen Menschenbild (dem homo oeconomicus) basiert. Wirtschaftspolitik, die sich an Profit und nicht an Care orientiert, steht auf tönernen Füßen. Sie behindert das gute Leben fast aller Menschen nachhaltig. Und DAS ist der Grund, warum wir Care-Ökonomie brauchen.

Wenn wir also anmahnen, dass Care ins Zentrum von Wirtschaft gerückt werden muss und so weiter, dann hat das NICHT den hauptsächlichen Grund, dass wir die Situation von Frauen verbessern oder das Gender Pay Gap schließen oder die Leistungen von Frauen sichtbarer machen wollen. All das wären sicherlich schöne Nebeneffekte, aber der Grund ist ein anderer: Wir brauchen eine Care-Perspektive, damit die Welt nicht vor die Hunde geht. Care-Aktivismus ist Handeln aus Verantwortung für die Welt, nicht aus Lobbyismus für Fraueninteressen. Care-Aktivismus weist darauf hin, dass die symbolischen Ordnungen, die Politik und Kultur derzeit prägen, unrealistisch, ungerecht, menschenfeindlich sind.

Die Spirale des dauernden Lamentierens

Die Versuchung, das Thema Care in Form von Klagen über die ungerechten Benachteiligungen von Frauen in die Debatte zu bringen, ist freilich groß. Denn es ist derzeit medial nachgefragt und wird allgemein akzeptiert, dass Frauen über ihre Benachteiligung und Diskriminierung klagen. Ich habe manchmal sogar den Eindruck, als würden sich einige daran weiden, wie schlecht es den Frauen geht, und sich gleich auch noch in der Rolle derer gefallen, die uns arme Wesen dann aus unserer misslichen Lage retten. Sicher, auf solches Mitleid folgt dann unweigerlich der nächste Gegenartikel, in dem steht, dass es den Frauen doch gar nicht so schlecht geht und sie eigentlich selbst an allem Schuld sind. Aber das widerlegt meine Analyse nicht: Der antifeministische Reflex erfüllt nämlich gerade die Funktion, die Spirale des dauernden Lamentierens über die bedauernswerte Lage von Frauen am Laufen zu halten.

Diese ins Unendliche laufende Spirale – „Frauen geht es schlecht“, „nein gar nicht“, „doch“, „nein“, „doch“, „nein“ – ist ein praktischer Vorwand, um unsere eigentlichen Anliegen aus dem Fokus zu rücken. Die inszenierten Pseudoaufregungen rund um „das Frauenthema“ (für das es aber, leider, leider, keine praktikablen Lösungen gibt, von den kleinen Stellschräubchen mal abgesehen, für die wir dann aber schnell Kekse verteilen sollen) verschaffen dem diskursiven Mainstream die Legitimation, radikalere feministische Vorschläge dazu, wie Welt und Wirtschaft anders gestaltet werden könnten, ignorieren zu dürfen. Man hatte ja schon genug Feminismus im Blatt.

Ich habe keine Lust mehr, über dieses Stöckchen zu springen. Deshalb habe ich beschlossen, beim Thema Care zukünftig nicht mehr von Gender, von Frauen und Männern, von Geschlechterverhältnissen zu sprechen.

http://antjeschrupp.de

http://www.bzw-weiterdenken.de

beziehungsweise…

… ist ein Internetforum, das, von Beziehungen unter Frauen ausgehend – daher der Titel – , ein philosophisches und politisches Gespräch ermöglicht. Es ist aus dem Wunsch der Initiatorinnen heraus entstanden, eine Plattform für Ideen zu schaffen, die ausgehend von der weiblichen Liebe zur Freiheit die Welt verstehen und Gesellschaft gestalten. Es bietet eine Möglichkeit, Gedanken zu entwickeln und zu diskutieren, unterschiedliche Projekte und Netzwerke miteinander in Kontakt und ins Gespräch zu bringen, Informationen auszutauschen, sich inspirieren zu lassen, neue Ideen zur Welt zu bringen. An diesem Projekt kann sich grundsätzlich jede Frau aktiv beteiligen, die in irgendeiner Weise mit einer der Redakteurinnen oder Autorinnen in Beziehung tritt.

Hauptbild: Dr. Antje Schrupp – Journalistin und Politologin

One thought on “Care hat nichts mit Gender zu tun, sagt Antje Schrupp, Journalistin und Politologin

  1. Grundsätzlich pflichte ich der Analyse von Antje Schrupp zu: Care ist kein Frauenthema, bzw. geht die ganze Gesellschaft an. Und doch: Ich will über die Geschlechtskomponente nicht hinwegsehen, weil sie schlichtweg eine Tatsache ist; -alles andere ist Augenwischerei! Klar muss das Lamentieren grundsätzlicher daher kommen: Es braucht eine Rückführung der Wirtschaft zu ihrem eigentlichen Kern: Den Grundbedürfnissen aller Würderträger_innen auf dieser Erde, wie sie Ina Prätorius in ihrem brillant geschriebenen Essay eindrücklch darlegt:
    https://www.boell.de/de/2015/02/19/wirtschaft-ist-care-oder-die-wiederentdeckung-des-selbstverstaendlichen
    So werde ich trotzdem weiter das Thema Gender in der Diskussin hochhalten, ohne die gesamtgesellschaftliche Relevanz aus den Augen zu lassen. Die Zukunft ist weiblich oder sie ist nicht!


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