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20 Jahre Gleichstellung und immer noch am Anfang – ein Interview mit Lukas Ziltener, Präsident Glarner Gleichstellungskommission

20 Jahre Gleichstellung und immer noch am Anfang – ein Interview mit Lukas Ziltener, Präsident Glarner Gleichstellungskommission

Männer und Frauen sind gleichgestellt. So steht es zumindest in der Bundesverfassung. «Tatsächlich gibt es aber deutliche Unterschiede», so das Fazit von Lukas Ziltener, Präsident der Glarner Gleichstellungskommission. Diese feiert in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen.

Frauen stehen heute im Vergleich zu früher viele Wege offen. Gleichberechtigt sind sie deshalb aber noch lange nicht. Zu diesem Schluss kommen internationale Studien vom World Economic Forum (WEF) oder dem Bundesamt für Statistik. Die Glarner Gleichstellungskommission, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiert, sieht da im Glarnerland keine Ausnahme. Die Themen von vor 20 Jahren sind aktueller denn je.

Herr Ziltener, wo hapert es im Kanton Glarus noch bei der Gleichstellung von Mann und Frau?

Unser Ziel ist nicht nur die gesetzliche, sondern auch die tatsächliche Gleichstellung. Und vor allem hier hapert es noch. Denn es geht um Einstellungen, die über viele Generationen gewachsen und tief in den Köpfen der Menschen verankert sind. Gleichstellung heisst für mich in erster Linie Chancengleichheit. Also dass jeder Mensch, unabhängig von seinem Geschlecht, die gleichen Wahl- und Entfaltungsmöglichkeiten hat. Und das ist sicher auch im Glarnerland noch nicht 100-prozentig erreicht …

Zu wie viel Prozent denn in etwa?

Da wir hier keine Studien oder Messinstrumente haben, ist es schwierig, eine Zahl zu nennen. Aber ich würde schätzen … zwischen 50 und 75 Prozent.

Die Gleichstellungskommission organisiert seit 20 Jahren Ausstellungen und Infoveranstaltungen rund um das Thema. Ausserdem versucht sie – jeweils vor den Wahlen – für mehr Frauen in der Politik zu werben. Mit mässigem Erfolg, oder?

Das ist leider so. Gerade in der Politik stagniert der Frauenanteil wieder. Er liegt im Land- und Regierungsrat bei etwa 20 Prozent. In den Gemeinderäten ist die Zahl noch tiefer. Über die Gründe können wir leider nur mutmassen.

Und was mutmassen Sie?

Einerseits braucht es natürlich Frauen, die in die Politik wollen. Denn wenn zu wenig Frauen in diese Richtung gehen, können sie auch nicht gewählt werden. Andererseits wissen wir nicht, welchen Einfluss das Geschlecht auf die Wahlchancen hat. Gute Listenplätze sind sicher von Vorteil. Darauf weisen wir die Parteien auch hin. Generell haben wir ein Auge darauf, ob in den kantonalen Verwaltungsräten und Kommissionen Frauen angemessen vertreten sind, und monieren es, wenn dies nicht der Fall ist. Leider werden wir aber im Vorfeld solcher Wahlen in der Regel nicht angefragt. Wir können so oft nur noch im Nachhinein reagieren.

Nächstes Jahr stehen Wahlen an. Was wollen Sie besser machen?

Das Thema ist ständig auf unserer Agenda. Es braucht sicher frische Impulse. Aber für die nächsten Wahlen wird die Zeit wohl zu knapp. Auch, weil wir nur eine Milizkommission sind und der Grossteil unserer Arbeit in der Freizeit erfolgen muss.

Zu wenig Mittel für Gleichstellung?

Der Aufwand, den wir aktuell betreiben, ist sicher das absolute Minimum. Wir müssen leider auf Sparflamme arbeiten. Natürlich auch, was die Finanzen angeht. Leider gibt es beim Kanton keine Fachstelle, die sich hauptamtlich der Gleichstellung widmet.

Bräuchte es so eine Fachstelle?

Ja. Das wäre natürlich sehr hilfreich. Wahrscheinlich auch effizienter und wirkungsvoller. Aber angesichts der aktuellen Sparübungen beim Kanton sind solche Wünsche unrealistisch.

Warum engagieren Sie sich in der Gleichstellungskommission?

Ich bin seit fünf Jahren dabei. Als es vor zwei Jahren eine Vakanz gab, habe ich das Präsidium gerne übernommen. Gegen Diskriminierung zu kämpfen, entspricht meiner politischen Überzeugung.

Neben der Kommission besteht auch eine Schlichtungsstelle für Gleichstellungsfragen. Wie viele Fälle gab es in den 20 Jahren?

Bis diesen Frühling nur zwei. Aktuell sind noch zwei hinzugekommen. Zweimal ging es um Lohndiskriminierung, einmal um eine diskriminierende Kündigung und einmal um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

Braucht es Sie also gar nicht?

Die niedrige Zahl heisst nicht automatisch, dass in den Glarner Unternehmen in puncto Gleichstellung alles super läuft. Denn die meisten trauen sich erst gar nicht, rechtliche Schritte gegen ihren Arbeitgeber einzuleiten. Die Dunkelziffer ist sicher sehr gross.

Verlieren Sie Ihre Kompetenzen in der Schlichtung durch die Neuorganisation im Kanton?

In gewisser Weise schon. Aber es handelt sich jetzt schon um eine separate Behörde mit gewählten Mitgliedern, die zum Teil aus der Kommission kommen. Mit der Fusion wird die Schlichtungsbehörde aufgehoben und in die kantonale Schlichtungsbehörde integriert. Laut Regierungsrat sollen wir aber auch hier Mitglieder vorschlagen können. Wir werden es sehen …

Ein wichtiger Partner für die Gleichstellung ist die Wirtschaft. Wie ist die Situation in Glarner Firmen?

Schwer zu beantworten, da wir keine Erhebungen dazu haben. Was wir aber merken, wenn wir zum Beispiel Anlässe organisieren: Wir haben eher Mühe, Vertreter aus der Wirtschaft zu finden, die sich offen für Gleichstellung engagieren.

In anderen Ländern sieht man, dass Gleichstellung Rahmenbedingungen braucht. Stichworte Kinderbetreuung oder Elternurlaub. Was sagen Sie zur Situation in Glarus?

Gerade Kosten und Verfügbarkeit von Kinderbetreuung müssen noch optimiert werden. Denn sie spielen eine grosse Rolle, wenn es um Rollenverteilung oder Berufsplanung geht. Es ist Fakt, dass viele Frauen, die Kinder bekommen, in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt sind. Hier besteht Handlungsbedarf von politischer Seite.

Trotz Gleichstellungsgesetz haben Männer in der Schweiz keinen Anspruch auf einen dreimonatigen Elternurlaub. Wo bleiben hier Chancengleichheit und Wahlfreiheit?

Auf der Strecke. Und an solchen Beispielen sieht man, dass es immer noch verschiedene Bereiche gibt, in denen Gleichstellung im Gesetz noch nicht ganz verankert ist. Es wäre sicher im Sinne der Gleichstellung, wenn sich ein Paar den Elternurlaub selbst ein- und aufteilen könnte. Und ein Vater, der sich mehr um die Betreuung seines Kindes kümmern will, dies auch könnte. Hier bräuchte es – wie in anderen Ländern der Fall – gesetzliche Anschubhilfe.

Strengere gesetzliche Vorgaben?

Ja, genau. So, wie die Änderung des Gleichstellungsgesetzes, zu welcher der Bundesrat gerade die Botschaft verabschiedet hat. Da geht es in erster Linie um Lohngleichheit. Grössere Unternehmen sollen gezwungen werden, regelmässig ihre Lohnstruktur zu überprüfen. Solche Vorgaben braucht es, um gewisse Hebel in Bewegung zu bringen. Sie müssen dann auf lokaler Ebene aber auch umgesetzt werden.

Worin sehen Sie in den nächsten 20 Jahren die Hauptaufgabe der Gleichstellungskommission?

In erster Linie geht es sicher um Sensibilisierungsarbeit bei Arbeitgebern und in der Gesellschaft. Denn bei den Vorbereitungen zum Jubiläum haben wir gemerkt, dass sich leider noch nicht wahnsinnig viel geändert hat. Die Themen sind immer noch die gleichen, und unsere Anliegen müssen weiterhin eingebracht und verfochten werden.

Bild und Text: www.suedostschweiz.ch

Der 33-jährige Lukas Ziltener aus Glarus ist seit zwei Jahren Präsident der Gleichstellungskommission. Hauptberuflich ist er als Rechtsanwalt tätig. Weitere Mitglieder der Kommission: Monika Ronzani Kohlhaupt, Engi; Ivan Bedrac, Näfels; Britta Scheunemann, Glarus, und Gabriela Meier Jud, Niederurnen.

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