Back to the Roots? Deutschland macht es vor

Back to the Roots? Deutschland macht es vor

Die AfD (Alternative für Deutschland) wirbt offen für ein rückständiges Frauenbild und die Rückabwicklung zahlreicher Errungenschaften der Gleichberechtigung – ein Grund mehr, die Augen offen zu halten und für die Frauenrechte zu kämpfen, denn ähnliche Tendenzen gibt es auch in der Schweiz.

Lange schien es, als sei die Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland nicht aufzuhalten. Manche junge Frau winkt ab: Feminismus? Ist doch alles schon erreicht. Das hat schon bisher nicht gestimmt: Es gibt noch mehr als genug zu tun. Aber jetzt macht sich mit der Alternative für Deutschland auch noch eine Partei in Umfragen breit, die sogar das bisher Erreichte in Frage stellt. Die AfD wirbt offen für eine Rückabwicklung zahlreicher Errungenschaften der Gleichstellung von Mann und Frau. Das Zulegen bei den letzten Wahlen um bis zu 12 Prozent ist ein dramatischer Rückschritt für die Gleichberechtigung und könnte konkrete Verschlechterungen zur Folge haben.

Vieles von dem, was Frauen in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben, ist zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden. Doch noch immer sind sie nicht überall gleich gestellt. Noch immer verdienen Frauen im Schnitt rund 20 Prozent weniger als Männer für die gleiche Tätigkeit. Noch immer finden sich in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik viel mehr Männer als Frauen. Politische und administrative Entscheidungen können Männer und Frauen sehr unterschiedlich betreffen. Deshalb hat die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 Gender Mainstreaming als eigenständige Strategie festgelegt. Spätestens seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages 1999 ist es in Europa ein gesetzlich verankertes Ziel, die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei allen Entscheidungen auf allen Ebenen zu berücksichtigen.

Die AfD aber wähnt hinter dem längst etablierten Instrument des Gender Mainstreaming das Ziel, die traditionelle Familie zu zerstören. Solche Bestrebungen seien «Genderwahn und Gleichmachung von Geschlechtern unter einem ideologisch verbrämten Etikett», wie es in einer Pressemitteilung der hessischen AfD hiess. Wenn in Kita und Schule Genderaspekte berücksichtigt werden, fürchtet sie eine Konfrontation von «Kleinstkindern mit sexuellen Methoden und Praktiken».

Gegen «Gesellschaftsexperimente»

Der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, Björn Höcke, forderte, «schädliche, teure, steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen», zu beenden. Kinder sollten wieder «verstärkt in der Familie erzogen werden»: «Die klassische Familie ist wieder zum Leitbild zu erheben.» Auch die wenigen Frauen in der AfD tragen dieses rückwärtsgewandte Frauen- und Familienbild mit. Bundessprecherin Frauke Petry nennt es «wünschenswert, dass eine normale deutsche Familie drei Kinder hat», und fordert ein Volksbegehren für eine Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218. Beatrix von Storch vertritt die Positionen der selbst ernannten «LebensschützerInnen» – wie sie das mit ihrer Aussage zusammenbringt, zur Abwehr von Flüchtlingen müsse auch auf Frauen und Kinder geschossen werden, ist ihr Geheimnis.

Dass eine Partei sich allen Ernstes herausnimmt, definieren zu wollen, wie eine «normale deutsche Familie» und eine «natürliche Geschlechterordnung» auszusehen haben, ist meilenweit von der Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert entfernt. Gerade deshalb ist die Versuchung gross, solche Positionen der AfD als ideologisches Getöse abzutun. Aber es besteht durchaus die Gefahr, dass eine in den Parlamenten der Städte, Gemeinden und Landkreise real existierende AfD dazu beiträgt, mühsam errungene Elemente der Gleichberechtigung von Mann und Frau zurückzudrängen.

In Hessen hat die von CDU und Grünen getragene Landesregierung das Gleichstellungsgesetz überarbeitet, das im öffentlichen Dienst beschäftigte Frauen stärkt. Ein wichtiges Element sind mehr Rechte für die Frauenbeauftragten. Die AfD möchte dagegen die Frauenbeauftragten am liebsten ganz abschaffen. Zieht sie in kommunale Parlamente ein, ist damit zu rechnen, dass in kommunalen Haushalten und Stellenplänen wichtige Errungenschaften wie Frauenförderpläne, Gender Budgeting und die Besetzung von Spitzenpositionen durch Frauen gefährdet sind. Auch die Quote bei der Besetzung von Ämtern in Zweckverbänden und Verwaltungsräten und beratenden Gremien wird von der AfD sicher nicht mitgetragen.

Dass sich die AfD gern über geschlechtergerechte Sprache in Dokumenten und Beschlüssen lustig macht, mag dem einen oder der anderen nicht so wichtig erscheinen. Sprache drückt aber eine innere Haltung aus und entfaltet reale Wirkung. Ein Zurückfallen in das vorige Jahrhundert, das sollen und werden sich Frauen nicht gefallen lassen. Es gibt viele gute Gründe, sich gegen eine Partei zu entscheiden, die auf das Leid von Flüchtlingen mit Unmenschlichkeit reagiert, gegen Andersdenkende hetzt und von Demokratie, Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit wenig hält (frau sehe bewusst Ähnlichkeiten in der Schweiz). Für alle, denen Frauenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter und die Vielfalt der Lebensmodelle wichtig sind, ist das ein Grund mehr, bei kommenden Wahlen ihr Grundrecht wahrzunehmen, zur Wahl zu gehen und Parteien wie die AfD wieder dorthin zu schicken, wo sie hingehören – in die Bedeutungslosigkeit.

 

AfD-Vorsitzende Frauke Petry hätte gerne drei Kinder pro deutscher Familie.  Foto: afp

Deutschland, eine moderne «Grossmacht» soll sich also zurück in die Fünfzigerjahre bewegen. Die Frauen sollen auf «ihren» angestammten Platz zurück – und dieser ist in der Küche, der Kirche oder bei den Kindern. Es gibt ähnliche Tendenzen vonseiten der «Volkspartei» in der Schweiz. Im Kanton Aargau zum Beispiel hat nicht eine der beiden fortschrittlichen Regierungsratskandidatinnen die Wahl geschafft, sondern die SVP-Vertreterin, die sich ein Bildungssystem wie in ihren Kindertagen wünscht. Eine Person, die sich selbst als natürlichen Gewinn für den Kanton versteht und zwar als (einzige) Frauenvertretung in der Kantonsregierung sitzt, sich jedoch geschlechtslos oder männlicher als jeder Mann verhält. Eine AfD – also eine vermeintliche «Alternative» – befürwortet auch bei uns bereits ein Drittel der Bevölkerung. Passen wir darum auf, dass wir nicht alles verlieren, wofür wir während Jahrzehnten gekämpft haben!

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