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Schweizer Familien: Gefangen im traditionellen Modell

Schweizer Familien: Gefangen im traditionellen Modell

Familien in der Schweiz leben oft ein traditionelles Familienmodell, obschon sie andere Vorstellungen haben. Damit Wunsch und Realität stärker in Einklang gebracht werden können, müssten sich die Rahmenbedingungen ändern. Doch dies ist nur in kleinen Schritten möglich.

Bei der Wahl des Familienmodells klaffen in der Schweiz Wunsch und Realität oft auseinander: 40 % der Paarhaushalte mit kleinen Kindern betrachten eine gleichwertige Teilung der Haus- und Erwerbsarbeit mit einer Teilzeitanstellung beider Partner als ideal. Nur gerade 9 % der Befragten leben aber effektiv ein solches Familienmodell. Mit drei Viertel aller Familien dominiert in der Schweiz das traditionelle Rollenmodell, bei dem der Mann in erster Linie für die Erwerbsarbeit und die Frau in erster Linie für die Haus- und Familienarbeit zuständig ist. Mittlerweile ist zwar ein grosser Teil der Mütter kleinerer Kinder erwerbstätig, die meisten gehen aber einer Teilzeitanstellung mit eher geringem Pensum nach.

Sind die Familien in der Schweiz in traditionellen Strukturen gefangen? Diese Frage stand im Zentrum eines Kolloquiums in Bern rund um die BFS-Erhebung «Familien und Generationen (EFG)» sowie die Auswertungen der ersten Befragungswelle durch Forschende des Nationalen Forschungsschwerpunkts LIVES, an dem auch Forschende der Berner Fachhochschule beteiligt sind.

Ungünstige Rahmenbedingungen für alternative Familienmodelle

Die an der Veranstaltung präsentierten Analysen geben viele Hinweise für das Auseinanderfallen von Familienbildern und gelebter Praxis: Mit 1.5 Kindern pro Frau ist die Geburtenrate hierzulande vergleichsweise tief und die Kinderlosigkeit viel stärker verbreitet, als aufgrund des erhobenen Kinderwunsches bei Paaren zu erwartet wäre. Und obschon die Ehe als Institution ihre Bedeutung in der Schweiz ähnlich stark eingebüsst hat wie im Ausland, wächst die Zahl der nicht-verheirateten Paare mit Kindern bedeutend langsamer als in anderen Ländern.

Ausgerechnet nicht-verheirateten Paare – mit meist egalitären Vorstellungen bezüglich der Arbeitsteilung – können ihr Familienmodell oft nicht zufriedenstellend leben. Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen hier häufiger zu Konflikten und Unzufriedenheit als bei anderen Modellen. Auf der anderen Seite sind bei Paaren mit traditioneller Rollenteilung die finanziellen Folgen und emotionalen Belastungen einer Scheidung schwerwiegend. Und anders als in Ländern, in denen mehr Familien in egalitäreren Modellen leben, haben sich die negativen Scheidungsfolgen in der Schweiz auch nicht abgeschwächt.

Die Gründe für die Gefangenheit im traditionellen Familienmodell sehen die Teilnehmenden des Kolloquiums bei den vorherrschenden institutionellen, steuerlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die geschlechtsspezifische Rollenerwartungen zementieren und das «modifizierte Ernährermodell» mit je einer Vollzeitstelle und einer Teilzeitstelle finanziell bevorzugen.

Politik reagiert langsam auf gesellschaftliche Veränderungen

Paare, die Erwerbs- und Familienarbeit gleichmässig unter sich aufteilen wollen, sind darauf angewiesen, dass beide Partner während Zeiten intensiver Betreuungsarbeit bezahlten Urlaub zu beziehen – z.B. für die ersten Lebensjahre der Kinder oder die Betreuung und Pflege von Angehörigen. Im Minimum müsste ein Vaterschaftsurlaub eingeführt werden, der Vätern die Möglichkeit gibt, sich intensiv um ihr neugeborenes Kind zu kümmern.

Individualbesteuerung, flexible Arbeitszeitmodelle, kürzere Normarbeitstage, die Aufwertung der Teilzeitarbeit sowie qualitativ gute und bezahlbare Angebote zur familienexternen Kinderbetreuung sind weitere Elemente, die eine ausgewogene Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen begünstigen.

In der föderalistischen Schweiz sind allerdings keine grossen politischen Würfe zu erwarten, die zu besseren Rahmenbedingungen für egalitäre Familienmodelle beitragen. 2013 scheiterte der Familienartikel am Ständemehr. Dieser Artikel hätte die Bundespolitik ermächtigt, Massnahmen im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ergreifen und beispielsweise einen Elternurlaub umzusetzen. Ähnlich wie bei der Mutterschaftsversicherung, welche die Referendumshürde 2004 nur knapp schaffte, variierten die kantonalen Zustimmungsraten zum Elternurlaub zwischen 30 % in Appenzell Innerrhoden und 80 % in Genf. Zwar haben sich die Wertvorstellungen bei vielen Paaren geändert, die regionalen Unterschiede bei familienpolitischen Normen sind aber weiterhin stark ausgeprägt. In diesem Umfeld sind höchstens graduelle Veränderungen möglich.

Bild und Text: www.knoten-maschen.ch

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