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Betroffene fürsorgerischer Zwangsmassnahmen: Versteigert, verdingt, gedemüdigt, ausgenützt, missbraucht

Betroffene fürsorgerischer Zwangsmassnahmen: Versteigert, verdingt, gedemüdigt, ausgenützt, missbraucht

Ende März ist die Frist abgelaufen. Bis dann durften Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und ehemalige Verdingkinder noch ein Gesuch für einen Solidaritätsbeitrag einreichen. Doch: Die wenigsten haben das wohl getan, denn nicht alle wissen, dass sie Anspruch auf eine Entschädigung haben oder gehabt hätten.


Es ist ein düsteres Kapitel Schweizerischer Sozial­geschichte, jenes der Verdingkinder, die auf Bauernhöfen, in Familien und  in Erziehungsanstalten platziert wurden. Für rund 50 Franken wurden sie teilweise auf Märkten versteigert. Wo sie platziert wurden, mussten sie arbeiten wie die Tiere, wurden oftmals ausgenutzt, gedemütigt und missbraucht. Theo Halter erzählte kürzlich in einem Alters- und Pflegeheim in Frauenfeld davon. Mit weiteren Verantwortlichen, rund um die Guido-Fluri-Stiftung, war er monatelang unterwegs, um die Information unter mögliche Betroffene zu bringen.

Die Mission der Projektleitungsmitglieder der Guido-Fluri-Stiftung: Man will, dass Menschen, die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen oder ehemalige Verdingkinder sind, vom Anspruch auf einen Solidaritäts­beitrag wissen. Mit maximal 25’000 Franken wäre dies immerhin  eine Anerkennung für das erlittene Unrecht und zugefügte Leid, das eigentlich nie mehr gut gemacht werden kann.

«Man geht davon aus, dass zwischen 12’000 und 15’000 Betroffene noch leben», sagt Theo Halter. Ein Gesuch eingereicht hätte aber leider nur ein Bruchteil davon, vielleicht gerade einmal  100 aus dem Thurgau. Wie sehr sich die Weibelei in den letzten drei Monaten gelohnt hat, wird sich weisen. ­«Einige Betroffene fühlen sich schuldig, schämen sich» sagt er und andere wollten nicht, dass die leidvolle Geschichte nochmals hoch ­komme. Und: Es gibt auch Betroffene, die dachten, ihre Geschichte beweisen zu müssen. Dem war aber nicht so.

Einzige Voraussetzung war nämlich die Bereitschaft, ­seine Geschichte plausibel zu erzählen. Den ganzen Papierkram übernahmen speziell dafür geschulte Personen. Die Guido-Fluri-Stiftung betonte, es gehe ihr nicht darum, dem Bund möglichst viel Geld abzuknöpfen. Man habe einfach die möglichen Betroffenen informiert. Schliesslich haben diese sich eine Entschädigung verdient – und das dunkle Kapitel Geschichte muss ja auch aufgearbeitet und zu Ende gebracht werden können, solange die Betroffenen noch am Leben sind.

www.fszm.ch

Bild: Mädchen in einem Erziehungsheim in der Ostschweiz (Staatsarchiv). Hier finden Sie weitere Bilder von Betroffenen!

Acht Kantone haben einen Beitrag in den Fonds eingezahlt. Darunter sind die sechs Ostschweizer Kantone Thurgau, St.Gallen, beide Appenzell, Glarus und Graubünden. Wie das «Regionaljournal Ostschweiz» kürzlich berichtete, haben sich die Ostschweizer Kantone vergleichsweise früh mit der Thematik auseinandergesetzt. Dies habe dazu geführt, dass bislang insbesondere diese Kantone in den Fonds eingezahlt haben.

Die Beiträge, die die Kantone leisten, variieren. Der Kanton St.Gallen bezahlt innerhalb von drei Jahren 900’000 Franken, der Kanton Thurgau einmalig 150’000 Franken.

Menschen, die vor 1981 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen geworden sind, erhalten bis zu 25’000 Franken aus dem Fonds.

Tipp: Besuch der ersten nationalen Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder in der Schweiz in Mümliswil SO!

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